Sehnsuchtsinsel Sylt
Es gibt auch andere Sehnsuchtsorte, Marbella, Seychellen, Malediven, manchen zieht es zum Weihnachtsbummel nach Finnland. Dänemark oder Winterliche Hotspots, wie Kitzbühel oder St. Moritz vor unserer Haustür passen zwar zur herbstlichen Jahreszeit, aber nicht zu meinen kürzlichen Auszeiten.
Ich habe es wieder getan, Sylt! Dieses bis in die Haarspitzen bzw. den letzten Sandkorn perfekt vermarktetes Stückchen Insel, oder sollte man sagen Sandaufschüttung. Ertappt, war da gerade so etwas wie Ironie?
Eine gute Bekannte gestand letztens bei einem Glas Rotwein, sie sei vom Syltvirus infiziert und bekomme Entzugserscheinungen, wenn sie nicht wenigstens 2 x pro Jahr über den Hindenburgdamm auf die Insel radelt. Ahnten wir ohnehin über die Jahre. Finden sich doch überall Sylter Devotionalien in ihrem 2 Zimmer Appartement. Geschirrhandtücher, Salzstreuer und Zierkissen mit dem Inselemblem und dann natürlich noch die indirekten Botschafter des deutschen liebsten Dünenstreifens: gekreuzte Säbel oder der rote Gosch-Hummer auf ihrem Kaffeebecher.
Darauf könnte ich jetzt aus meiner wulstigen braunen Kaffeetasse trinken, die ich mir mal als Andenken aus dem hauseigenen Kupferkannen-Shop mitgenommen hatte.
Westerland
Auf meine Frage, welches Highlight sie denn auf der Insel erwarten würde, platzte es ungläubig aus ihr heraus. „Na alles, die Promenade in Westerland mit Musikmuschel, die vielen guten Restaurants, Promis gucken, der Blick aufs Meer“.
Eines wurde schnell klar, sie war eine Westerländerin, kannte die Promenade bis ins FF und das andere erspare ich mir.
Mein Sylt Urlaub rückte näher und ich dachte okay, das Miramar hält ja auch den Regen ab. Also erst einmal eine Prise Westerland.
Die Promenade bis nach Wenningstedt wandernd, war recht sportlich. Voll ist sie gefühlt schon immer, zu Coronazeiten Slalomkür auf hohem Niveau. Die Sonne hatte erbarmen mit uns Herbstlern, der Blick über das Meer wunderschön, der Blick über das Meer von Strandkörben weniger. Friedrichstraße hoch und runter, ein paar nette Läden links und rechts in den Nebenstraßen. Aber nichts, was ich in jeder anderen Klein- geschweige denn Großstadt nicht auch bekommen könnte.
Wohngetto Sylt
Vergisst man für einen Moment, dass die schöne Nordsee nur einige Steinwürfe entfernt liegt, könnte man zwischen den stinklangweiligen Hochhäusern, von denen es hier gefühlt viel zu viele gibt, denken, man befände sich in einem ganz normalen Wohngetto auf dem Festland. Wem hat man hier in den 60igern nicht auf die Finger gehauen, und zwar mit Schmackes?
Ahh! Und jetzt der Aufschrei, aber Sylt hat so viel mehr zu bieten! Kilometerlange Strände, die durchaus auch mal einsam werden können, und dann die Natur am Ellenbogen! Vielleicht hätten wir dort nicht am Wochenende aufsteppen sollen. Ich war froh, den nördlichsten Ort Deutschlands mit dem Auto ansteuern zu dürfen. Fußgänger- und Radfahrerscharen waren hier doch erheblichen Risiken ausgesetzt, so voll war es. Aber man macht das alles ja freiwillig, niemand zwingt einen dazu. Es ist schließlich keine Alternative, daheim in Dithmarschen einen einsamen Feldweg lang zu strampeln, oder?
Promis auf Sylt
Was reizte mich mal wieder und was haben die Sylturlauber für Erwartungen.
Ist es vielleicht der Wunsch durch etwas Besonderes, selbst Besonders zu werden. Etwas VIP, etwas Blingbling zu erhaschen. Ein Hauch von dieser glamourösen Anderswelt aus Hochglanzillustrierten. Wobei genau genommen auch dort mittlerweile mehr Treppenhaustratsch als echte Edelpromi- Anekdoten verbreitet werden. Glauben die Syltsüchtigen ernsthaft, dass Udo Lindenberg, der ja auch gerne im Miramar einchecken soll, auf der Düne steht und nuschelt „is ja echt cooler Sand hier“.
Tatsächlich, ich hab mal einen Promi auf Sylt gesehen. Das war ca. 1966, Besuch bei meiner Schwester, die da einen Job hatte .Ich war 13 Jahre und mit meinem Vater auf der Westerländer Promenade unterwegs. Er stieß mich aufgeregt an und sagte: “da kommt Tim Frazer“. Kannte ich sogar. Damals gab es die sogenannten „Straßenfeger“, schwarz-weiß Krimis von Francis Durbridge im Fernsehen. Tim Frazer war der Filmname, Max Eckhart sein richtiger Name. Er lächelte uns freundlich an. Er ist vor langer Zeit verstorben. Kennt diesen netten Herren, pardon „Promi“ heute noch jemand außer mir?
Oberflächlichkeit oder Innere Werte?
Vielleicht bin ich ja auch promiresistent oder die verstecken sich vor mir, aus gegenseitigem Desinteresse.
Mich hat immer mehr das private Handeln und der Charakter eines Menschen interessiert, als irgendeine Form von polierter Oberfläche. Die ist auch extrem vergänglich und austauschbar, innere Werte hoffentlich nicht so leicht.
Vielleicht ist das Leben von einigen Menschen ähnlich wie die Börse. Auch dort gibt es konservative Qualität mit dauerhafter Überlebenschance, aber auch ganz viel oberflächliche Dummheit. Ein Titel kann einen respektablen KGV-Wert haben, Milliarden Gewinne machen, aber wenn die vielen einfach gestrickten Aktienzocker mit null Basiswissen in Panik geraten, laufen sie wie die Lemminge zum Abgrund und realisieren ihre Panikverkäufe. Dem Sog können sich dann leider auch die Profis nicht entziehen, sie verlieren dann mit, wenn auch kopfschüttelnd.
Was also bin ich in Bezug auf Sylt, Lemming oder Profi?
Es hat sich so ergeben, dass ich dieses Jahr im Spätherbst auch 2 Wochen an der dänischen Nordseeküste Meeresluft schnuppern durfte. Oberhalb Esbjergs gibt es Dünen satt und Udo würde nicht mehr wissen, von welcher Düne er was in den steifen Westwind nuscheln sollte. Sand und Strand hats hier genug. Auch 10 Points für Dänemark.
Promis wurden hier allerdings selten gesehen, aber da bin ich ja auch nicht kompetent. Allerdings lag gestern ein toter großer Tümmler am Strand, über den sich besonders die Möwen freuten. Ich will hier keine Lanze für alternative Strände in Dänemark brechen, aber hier brauche ich definitiv kein Slalom laufen. In einer Schlange anstehen zu müssen, um in eines der Strandlokale an Sylts Küste zu gelangen, ist hier auch unbekannt.
Nun denn, was ist also mit diesem Syltvirus. Was hat uns in Bezug auf manche Themen so weich gemacht im Kopf? All die alternativen schönen Meeresstrände, Amrum, Föhr, Römö, Fanö, Kieler Bucht, etc., aber Nein, wir wollen das Kostspielige.
Sylt ist teuer
Da muss doch was dran sein, das Sylt das teuerste Grundstückspflaster der Nation ist und einige Lemmige bereit sind, für einen Hühnerstall soviel zu bezahlen, wie sonst für einen ganzen Bauernhof auf dem platten Land. Dafür gibt es dann allerdings auch Millionen Kubikmeter Sandaufspülungen gratis, sonst wäre dieser ganze Irrsinn wahrscheinlich bereits zu nicht unerheblichem Teil weggespült.
Luxus auf Sylt
Dabei fällt mir ein, wenn mein Vater damals gewusst hätte, was die Buhne 16 ist, hätten wir theoretisch Gunther Sachs beim feiern in den Dünen treffen können. Dort hat er mit seiner Entourage gerne abgehangen, inclusive Verkleidungsfete in dieser ominösen LKW-ähnlichen Inselbahn. Da saß ich damals als Junge auch drin, Gunther wo warst Du? Die Bahn gibt es leider lange nicht mehr. Dabei war sie ein Ei-Catcher. Die Zeit verklärt sowie so einige Dinge. Gab es doch tatsächlich Erzählungen, Brigitte Bardot, damalige Ehefrau von Herrn Sachs, hätte mit ihm in der Sansibar Party gemacht. So ein Blödsinn!
Der nette Herr Seckler hatte damals noch keine Sansibar und die Bardot war nie auf Sylt! Herrn Sachs habe ich dann später mit seinem Stil und seiner Klugheit als wirklich seriösen Promi empfunden. Dieses dämliche Playboy Image klebte ihm ungerechtfertigter Weise wie Hundesch….. an der Hacke.
Immerhin habe ich jetzt ein kurzes Surfbrett mit dem „Buhne 16 Logo“ über meinem Clo hängen. Das ich vor einigen Jahren nach einem dortigen leckeren Frühstück aus dem Shop mitgenommen habe.
Wir wissen alles über die Insel, wenn wir die üppig vorhandene Literatur über Sylt studieren. Wer dort gelebt hat, wer dort begraben liegt. Wer als einfacher Mann dort versucht hat, etwas aufzubauen. Man denke nur an Gosch, Sansibar, Pony oder Kupferkanne, deren Gründer lange selbst zu VIP´s oder zumindest Millionären aufgestiegen sind. Da gibt es auch noch zahlreiche andere. Auch ich komme aus einfachen Verhältnissen. Mir ist bewusst, dass jede Medaille 2 Seiten hat.
Auch wenn ich heute nicht mehr mit meiner Frau in zusammengeschobenen Westerländer Strandkörben für lau übernachten muss, wie einmal Anfang der 70iger auf vorgetäuschter Klassenfahrt, bekommt die Sache für mich dann doch manchmal einen Beigeschmack, wenn das Preis/Leistungsverhältnis die Schere macht. Dann frage ich mich gelegentlich, wieviel Mythos im Wunsch dieses Reiseziels liegt und wieviel Nutzen. Letztlich kommt es für jeden Besucher dieser zweifellos schönen und interessanten Lummerland-Insel auf das Wohlbefinden an, welches hoffentlich ausgelöst wird.
Die Sensibilisierung dafür bleibt dann doch häufig auf dem Niebüller Eincheck-Bahnhof stecken.
Ich muss an dieser Stelle auch noch gestehen, dass wir uns nach der Stippvisite in Westerland auch noch ein paar Tage im Söl´ring Hof gegönnt haben. Makelloser Service, leckeres Essen, familiäre Atmosphäre, arrangiertes Picknick im hauseigenen Strandkorb und das Wichtigste, unaufgeregte Ruhe.
Kampen, dieses Hobbit-Dorf für Fortgeschrittene
Es ist wahrscheinlich auch eher dem touristischen Publikum geschuldet, das regelmäßig in Scharen über diese an sich harmlose Insel herfällt und ihr mit nicht allzu berauschendem Benehmen schadet. Menschen, die lärmend belanglose Anekdoten in überfüllten In-Bistros und Kneipen von sich geben müssen.
Die sich über andere Gäste erheben und arrogant aburteilen. Hier noch ein Foto mit Herren Seckler, der tolerant und nett genug ist, diese Irren bei Laune zu halten.
Dort noch eine Flasche Magnum Champagner, weil man ja so wichtig ist.
Ganz zu schweigen von den penisverlängernden Nobelkarossen, mit denen hemmungslos auch zum 20igsten mal pro Tag der Strönwai abgefahren wird.
Dabei mag ich Kampen, dieses Hobbit-Dorf für Fortgeschrittene.
Seis drum. Jeder ist seines Glückes Schmied und jeder kann mit seiner Kohle machen was er will. Manchmal hat ´s auch keine Kohle, geliehener Porsche für Sylt, dann wird es schräg mit der Exklusivität.
Die Tage im Söl´ring flogen dahin wie die Möwen am Strand. Als ich an der Rezeption meinen Aufenthalt begleichen wollte, bat mich Herr King um meinen Autoschlüssel. Wie selbstverständlich holte er unseren Volvo vom Parkplatz und half beim verstauen des Gepäcks, weil der entsprechende Mitarbeiter gerade unterwegs war. Herr King ist Sylt-Kennern auch als Chef des Söl´ring bekannt. Höflich und unauffällig.
Und ich bin definitiv kein VIP. Es ist also doch nicht alles verloren. Es gibt sie noch, diese Natürlichkeit, Zurückhaltung, Understatement, – diese leise Seite von Sylt, diesen Sehnsuchtsort.